Der Empfang

September 2 – October 21, 2023

Galerie Gregor Staiger, Zurich

Exhibition View Photo: Galerie Gregor Staiger
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Installation View Photo: Galerie Gregor Staiger
Installation View Photo: Galerie Gregor Staiger

In seiner fünften Einzelausstellung in der Galerie Gregor Staiger präsentiert der Schweizer Künstler Florian Germann (*1978, lebt und arbeitet in Zürich) mit Der Empfang erstmals eine Auswahl von Werken, die in Zusammenhang mit seinen Kunst-am-Bau-Projekten stehen, welche seit mehreren Jahren Teil seiner künstlerischen Praxis sind. Nebst seinem Interesse für literarische, filmische, historische, aber auch wissenschaftliche Figuren, Motive und Wissensfelder, die er mit seinen skulpturalen Anordnungen aufgreift, kann die Transformation von Energien als eines der Leitmotive in Germanns Schaffen bezeichnet werden.


Das Modellbauen – das Herstellen von konkreten, dreidimensionalen, physischen Objekten, Dioramen oder Modellanlage – fasziniert Menschen seit Jahrhunderten. In den vereinfachten, verkleinerten Nachbildungen von geplanten Objekten oder (Lebens-)Bereichen zeigt sich, wie etwas sein könnte: die Modelle, die in unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz kommen, sind als eine Form der Vergegenwärtigung von etwas Zukünftigem zu begreifen. Insbesondere die Modelle von Künstler:innen – häufig begegnen sie uns im Rahmen von Kunst-am-Bau-Projekten – sind von tiefgreifenden Reflexionen über räumliche Kontexte und Gesellschaftsformen geprägt. Dabei ist diesen häufig auch das Moment des Scheiterns inhärent, insofern, als dass die mit den Modellen entworfenen Projekte oftmals nicht in einen grösseren Massstab umgesetzt werden können. So lösen sie sich von ihrer rein «utilitaristischen Funktion» und greifen oft utopische Ansätze auf – eines der bekanntesten Beispiele ist etwa das Monument der Dritten Internationale (1920), ein nicht realisiertes Turmprojekt des russischen Künstlers Wladimir Tatlin. Auch in der zeitgenössischen Ausstellungsgeschichte widmen Künstler:innen wie beispielsweise Isa Genzken (Modelle für Aussenprojekte, Bundeskunsthalle Bonn, 2016) ganze Ausstellungsprojekte solchen Modellen von realisierten und nicht realisierten Aussenprojekten.


In dieser kunsthistorischen Tradition lässt sich auch Germanns aktuelle Ausstellung verorten, dessen künstlerische Praxis bereits seit Beginn vom Arbeiten im Aussenraum geprägt ist. Ausgangslage der Ausstellung sind drei Projekte, welche auf Einladungen für Kunst-am-Bau-Wettbewerben antworten: Lot (2019–23) im Rahmen des Neubau- Projekts des Alterszentrum und Wohnsiedlung Eichrain, Zürich; Café Central (seit 2022) im Rahmen des Neubau-Projekts Glaubten-Areal, Zürich) und Nachtklub für Nachtfalter (seit 2023) im Rahmen des Neubau-Projekts Campus der Schule Wattwil. Germann präsentiert die unterschiedlichen Modelle, die im Zuge der Arbeit an den Projekten entstanden sind, jedoch nicht einzeln auf weissen Sockeln, sondern inszeniert sie in einem installativen Gefüge. Dieses umfasst nicht nur seine Modelle, sondern verlagert gleichzeitig den Empfang und das Büro der Galerie in die Mitte des Ausstellungsraums. Ein innenarchitektonischer Eingriff, der nicht nur eine Möglichkeit eines ungewohnten Displays ist, sondern auch in der Tradition institutioneller Kritik gelesen werden kann. Im Sinne des Offenlegens und Sichtbarmachens unterschiedlichen «Auftraggeberschaften» – hier Galerie und Stadt / Kanton als Schirmherren von Kunst-am-Bau-Projekten – rückt die Installation die unterschiedlichen Anforderungen und gelten Regelwerke der unterschiedlichen Produktionsfelder des Kunstfelds in den Fokus.


Der Ausstellungstitel Der Empfang kann nicht nur auf das Ausstellungsdisplay bezogen werden, sondern auch konkret auf die einzelnen Vorschläge der Kunst-am-Bau-Projekte. Oftmals werden von einer Auftraggeberschaft in umfangreichen Projektvorgaben auch Wünsche an Inklusivität und Diversität formuliert. Germanns Kunst-am-Bau-Vorschläge empfangen im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur Menschen, sondern auch andere Lebewesen und bieten diesen einen Lebensraum an. Die Skulptur Lot, die sich als Baum mit mehreren Ästen beschreiben lässt, bildet ein Raum für Migration und Integration, ein Aufenthaltsort für Kleintiere wie Fledermäuse, Schwalben und weitere Vogelarten aber auch Wildbienen. Wie auch seine früheren skulpturalen Arbeiten und Installationen «lebt» Lot von dem Moment der Aktivierung und Partizipation. In ihrer Performativität – die im Zusammenwirken unterschiedlicher Lebewesen entsteht – können diese wie auch die anderen Arbeiten Germanns als Fortsetzung der Tradition einer sozialen Plastik gelesen werden. So beschreibt der Künstler sein Projekt Café Central als «Zentrum für Vögel und Menschen, [als] eine modulare, multifunktionale Skulptur, die reich an Leistungen und Handlungsmöglichkeiten ist.» Auch sein aktuelles Projekt Nachtklub für Nachtfalter wird, wie der Titel schon impliziert ein Habitat für Insekten, «ein lebendiges Kunstwerk, das dem Geschmack der Bestäuber entspricht, eine von Insekten autonom verwaltete Stadt mit Flughafen». Das Farbkonzept für die Skulptur wurde so gewählt, dass den Insekten eine möglichst vertraute Umgebung geboten wird – Rosa und Gelb erinnern an Blüten wie Lilien oder Rosen respektive an deren Blütenstaub. Bis heute sind Kunst-am-Bau-Projekt, die gleichzeitig den Charakter eines «Biotops» haben und auch als solches konzipiert wurden eine Seltenheit. Eine Ausnahme bildet etwa der Brunnen von Meret Oppenheim auf dem Waisenhausplatz in Bern, der 1983 bei seiner Einweihung sehr kontrovers diskutiert wurde und heute auf eine grosse Akzeptanz stösst. Mehr und mehr wird die Notwendigkeit einer Biodiversität im Stadtraum erkannt und teils aktiv eingefordert.


Ergänzend zeigt Germann in der Ausstellung eine neue Gruppe an Skulpturen, die in ihrer Materialität in Bezug zu den gezeigten Modellen stehen. Die Bioresin-Bodenskulptur Untitled (2023), die als Verbindungsarbeit zu Germanns früheren Serie aus Bioresin-gegossenen Wandskulpturen gelesen werden kann, zeichnet sich durch eine kreisrunde Vertiefung aus. Assoziationen an ein Becken oder eine Satelittenschüssel werden geweckt und führen erneut zum Ausstellungstitel zurück – hier wird «Empfang» auf eine metaphysische Ebene ausgeweitet. Die Wandskulpturen Untitled (2023), die sich aus formalästhetischer Sicht als Hybrid zwischen physikalischen Instrumenten und modernistischen Architekturfragmente präsentieren, sind aus einem Beton hergestellt, der seit dem 2. Jahrhundert vor Christus zum Einsatz kommt und bereits vom römischen Architekten, Vitruv, als Opus Caementitium in seinen Zehn Bücher über Architektur erwähnt wurde. Die Farbigkeit – ein schwaches Mauve – erzeugte Germann durch das Hinzufügen von Pigmenten von Hämatit, umgangssprachlich«Blutstein» genannt. Der wasserfeste Werkstoff zeichnet sich durch seine rau-poröse Oberfläche aus, die auch für Mikro-Organismen und unterschiedliche Pflanzenarten wie Moos einen Lebensgrund schaffen kann. So zeichnen sich auch diese Skulpturen durch ihr performatives Potential aus und knüpfen an die Idee einer Skulptur an, die sich nicht nur weiterentwickelt, sondern (Lebens-)Räume schafft.


Dr. Raphael Gygax